Meldung vom 03.06.2022

Kunst im Rathaus: Im Sommer '89 am Knieperteich

Es war ein schöner Sommertag im Jahr 1989, ein Sommer, in dem etwas in der Luft lag, was im Herbst '89 zum Mauerfall führte. In jenem Sommer nahm die 1926 geborene Stralsundern Ingeborg Czacharowski ihr Malzeug und setzte sich an das Ufer des Knieperteichs.

??? absaetzeOben[1]/titel ???

Ihr motivischer Blick richtete sich auf das durch einen Baum leicht verdeckte Kütertor, dazu die Spitze der Jakobikirche und einen Teil der Küterbastion, auf der sich heute der gut besuchte Spielplatz befindet. Mit feinstem Federstrich entstand zudem ein kleiner Antennenwald auf den Dächern – damals typisch für die Dachlandschaft nicht nur der Stralsunder Altstadt. Das Drumherum ist eher unscharf. "Hauptsache die Architektur stimmt", hatte sie in einem Interview einmal gesagt.
So oder ähnlich könnte es sich zugetragen haben, wie die Künstlerin "Architektur mit dem Zeichenstift" gleichsam archiviert hat.

Ingeborg Czacharowski malte seit ihrem 12. Lebensjahr, wollte Modezeichnerin werden, erlernte schließlich den Beruf einer Schneiderin. Sie wurde in den 1970er-Jahren Mitglied im Zeichenzirkel der VOLKSWERFT unter Paul Pusch. Seitdem entstand eine Vielzahl an Zeichnungen, Aquarellen und Ölgemälden. Ihre beliebtesten Motive waren dabei Landschaften, Stillleben, Porträts und eben Stadtansichten.
Bekannt wurden ihre Bilder durch Ausstellungen nicht nur in Stralsund, sondern auch in Klausdorf, Franzburg, Barth, Rostock und Berlin.

"Besonders sticht dabei die Serie der Grafiken heraus, die 1989 und danach entstanden sind", so der Beauftragte für den Kunst- und Kulturbesitz der Hansestadt Stralsund Dr. Burkhard Kunkel. "Dies sind ganz einzigartige und überaus genaue Stadtansichten. Es sind zugleich zeichnerische Dokumente aus einer Zeit, als der Zusammenbruch der Altstadt zunehmend fortgeschritten und die Wende bereits in Sichtweite war. Diese Bilder sollten einer großen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden", so Kunkel weiter. "Vorstellbar wäre", so Kunkel, "die Zeichnungen von damals Bildern von heute gegenüberzustellen – zum Beispiel im Rahmen eines Kunst-Kurses an einer Schule", wirbt er für diese Idee.

In einer früheren Ankündigung zu einer Ausstellung mit genau diesen Grafiken heißt es: "Wie kein zweiter Maler hielt sie die Realität der verfallenden Stralsunder Innenstadt fest. Ihr stiller Protest gegen den Abriss brachte die einzigartige Folge der...Werke hervor. ... Zugleich spricht aus ihren Bildern die Hoffnung auf eine Wiederbelebung der Stralsunder Innenstadt."

Eine dieser Grafiken ist ab sofort zu den Öffnungszeiten des Rathauses montags bis freitags im Eingangsbereich zu sehen.